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    21.09.2010

    Der Spiegel

    Luschkow wie der Blitz nach Kitz

    Мachtkampf um Moskau

    Auszeit in der Schlammschlacht: Ausgerechnet auf dem Höhepunkt des Propagandakriegs um die Macht in Moskau reist Bürgermeister Luschkow in den Urlaub nach Kitzbühel. Insider munkeln, er wolle über seinen Rücktritt sinnieren - oder gleich im österreichischen Exil bleiben.

    Die Boulevardzeitung "Moskowskij Komsomolez", ist berüchtigt für ihre pointierte Kritik an den politischen Machtverhältnissen, etwa die scharfzüngigen "Briefe an den Präsidenten" des Starautoren Alexander Minkin.

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    Moskaus Rathaus dagegen steht der Komsomolze gern loyal zur Seite. Während das Staats-TV Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow neuerdings unter mediales Sperrfeuer nimmt, reiht sich die Redaktion treu in die Reihe der Verteidiger ein. Der "MK" druckte einen offenen Unterstützerbrief, in dem der Stadtchef als Schöpfer einer "modernen europäischen Megapolis" und eines "kulturellen Zentrums nicht nur Russlands, sondern von Weltrang" gepriesen wird, unterzeichnet von Moskauer "Kleinunternehmern und Mittelständlern". Die meisten Moskauer Tageszeitungen spekulieren dagegen über mögliche Nachfolger als Bürgermeister.

    Doch jetzt gerät Luschkows Bastion im Propagandakrieg um die Meinungshoheit selbst unter Beschuss: Der Kreml hat dem "Moskowskij Komsomolez" die Steuerfahndung auf den Hals gehetzt. Es ist der nächste Schlag im Ringen um die Macht in Russlands Hauptstadt.

    Kraftprobe mit dem Kreml

    Der Kampf zwischen Präsident Dmitrij Medwedew und Bürgermeister Juri Luschkow, 73, seit 18 Jahren im Amt, hat sich zu einem politischen Beben ausgeweitet, zur größten Erschütterung seit der Verhaftung des Ölmagnaten Michail Chodorkowskij 2003. Es ist die erste wirkliche Krise des Machtsystems, das der heutige Premier Wladimir Putin geschaffen hat: Der Partei "Einiges Russland" droht die Spaltung. In der vergangenen Woche stellte sich der Moskauer Landesverband demonstrativ hinter den Bürgermeister, obwohl der "den Idioten im Kreml" den Krieg erklärt hatte.

    Luschkow ist der letzte Volkstribun Russlands: Zwar halten ihn laut Umfragen 65 Prozent der Moskauer für korrupt. Die Mehrheit will ihn gleichwohl gern behalten. "Meine Feinde sitzen im Kreml, das Volk aber ist mein Freund", sagte der Bürgermeister zuletzt kämpferisch dem SPIEGEL.

    Seine Niederlage in der Kraftprobe mit dem Kreml scheint dennoch unausweichlich.

    Jetzt reist der Stadtvater nach Österreich, in den Urlaub, wie es heißt. In Kitzbühel besitzt Ehefrau Jelena Baturina ein teures Anwesen. In Moskau munkeln gleichwohl Beobachter, in Wahrheit sei es eine Flucht: Luschkow werde nicht mehr aus dem Ausland zurückkehren - und per Fax seinen Rücktritt erklären.

    Dann würde Präsident Medwedew triumphieren, der das eigenwillige Stadtoberhaupt seit langem loswerden will. Doch dieser Sieg hätte seinen Preis, denn eigentlich will Medwedew das neue Russland formen, liberal und modern. In der Schlacht um Moskau aber griffen die Kreml-Strategen auf "schwarze PR" zurück, auf die Veröffentlichung von hastig produzierten Propaganda-Filmchen.

    Rückkehr der "Tele-Killer"

    Am Samstag strahlte der zum Gazprom-Konzern gehörende Kanal NTW wieder einen "Kompromat-Streifen" aus, eine Sendung mit vermeintlich kompromittierendem Material über Luschkows Gattin. Im Vorspann der Sendung "Russische Sensationen" nahmen schwarz gewandete Kameraleute Aufstellung wie ein Erschießungskommando. Es ist ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten: In den neunziger Jahren gehörten solche Schmutzkampagnen zur alltäglichen politischen Auseinandersetzung. "Tele-Killer" nannte der Volksmund jene Moderatoren und Journalisten, die auf Prominente und Politiker angesetzt wurden.

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    Es sind Reportagen mit harten Schnitten, dramatischer Musik und bedrohlichen Stimmen aus dem Off, aber ohne neue Informationen. Auf die gleiche Art könnte man binnen eines Tages einen "Film montieren, in dem Luschkow gemeinsam mit den Truppen Napoleons für den Brand Moskaus beschuldigt wird", schreibt Russlands renommierteste Internetzeitung "Gaseta.ru". "Die Macht entlarvt sich so selbst."


    Die Anfälligkeit der Moskauer Stadtverwaltung für Korruption und Vetternwirtschaft ist seit Jahren ein offenes Geheimnis. Bereits 2008 wurden ein Bezirksbürgermeister und sein Stellvertreter verhaftet, derzeit ermitteln die Strafverfolgungsbehörden gegen Alexander Rjabinin, Luschkows Vize - wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit.

    Auch Luschkow selbst wurde immer wieder der Korruption beschuldigt, weil seine Frau Baturina in seiner Amtszeit zu einer erfolgreichen Baulöwin und Russlands reichster Frau mit einem Vermögen von geschätzten zwei Milliarden Dollar aufstieg.

    2. Teil: Vorwürfe gegen Luschkows Frau Baturina

    Juri Chardikow, ein Mann von untersetzter Statur und rosigem Teint, ist ein Kronzeuge für die undurchsichtigen Machenschaften von Moskaus Mächtigen, einer, wie er sagt, "korrupten Kaste, die nach eigenen Gesetzen lebt." Chardikow, ein ehemaliger Polizist aus Sibirien, war selbst Teil davon. Bis 2009 diente er als Präfekt des Nördlichen Verwaltungsdistrikts Moskaus, war Bezirksbürgermeister eines Gebietes mit 900.000 Einwohnern. "Die Stadtverwaltung", sagt Chardikow, "verlässt man wie die Mafia nur auf zweierlei Art. Entweder in Handschellen oder als toter Mann."

    Im Frühjahr des vergangenen Jahres hat die Moskauer Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen "Betrugs in besonders großem Umfang" gegen ihn eröffnet. Chardikow erholte sich gerade von einer Gallenoperation in einer Moskauer Klinik. Mit blutenden Nähten am Bauch türmte er, wie er sagt, aus dem Krankenbett. Zunächst nach Hamburg, dann nach Litauen.

    Chardikow hockt nun in seinem Büro in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Lose Blattsammlungen und Dokumente mit dem Stadtsiegel Moskaus bedecken seinen Schreibtisch, Notizen für einen Enthüllungsroman. "Die Oligarchin", will er ihn nennen.

    "Baturina will mich vernichten", klagt Chardikow. Bei undurchsichtigen Immobiliendeals in der Olympiastadt Sotschi, so sehen es die Moskauer Behörden, soll er die Oligarchin um rund 30 Millionen Dollar geprellt haben. Russland hat Chardikow auf Drängen von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben, Litauen beschuldigt ihn der Geldwäsche und hat seine Konten eingefroren.

    Er habe sich "Anweisungen Luschkows, den Freunden des Bürgermeisters Vorteile zu gewähren" widersetzt, behauptet Chardikow. Er nennt den Namen des Sängers und Luschkow-Freunds Josef Kobson, der angeblich in seinem Bezirk einen Markt eröffnen wollte, auf dem Gebiet eines öffentlichen Stadions. Er nennt Telman Ismailow, den Handelsmagnaten und langjährigen Luschkow-Intimus. Er nennt Jelena Baturina, die günstig an Moskauer Bauland komme. Belege zeigt er nicht.

    Atempause - nur für wen?

    Jelena Baturina kennt die Vorwürfe. Seit 20 Jahren drohe man ihr schon mit strafrechtlicher Verfolgung, sagt sie in einem Interview. Nur einmal habe sie von der Stadt den Zuschlag für ein großes Bauprojekt bekommen. Damals habe Moskau jedoch seine Verpflichtungen nicht erfüllt, und aus dem Projekt sei nichts geworden. "Wo soll es hier einen Interessenskonflikt mit dem Bürgermeister geben?", fragt Baturina.

    Es ist ein merkwürdiges Interview für eine der reichsten Frauen der Welt. Sie gibt es dem kleinen Magazin "New Times", einem Blatt der russischen Opposition, mit überschaubarer Leserschaft. Sie gibt es per Internet, per Skype. Sie weilt schon länger in Österreich.

    Vielleicht hat sie mehr mit ihrem Kontrahenten gemein, als beiden lieb ist. In der Dämmerung sitzt Juri Chardikow am PC im litauischen Exil. Auch er telefoniert per Skype mit der Heimat, hält Kontakt zu alten Kollegen aus der Stadtverwaltung. "Passt auf", sagt er dann, "bald wechseln bei Euch die Machtverhältnisse. Nehmt ihr mich dann wieder zurück?"

    In Moskau bleibt die Lage unübersichtlich. Es heißt, Luschkow habe seinen Urlaub mit Russlands Führung abgestimmt. Er wolle nur seinen Geburtstag in Österreich feiern, gemeinsam mit der Familie. Er will zurückkehren, sagt er selbst. Moskaus Bürgermeister wäre dann 74. Aus dem Kreml heißt es, man habe dem Stadtvater eine Atempause gegeben, um in Ruhe über seinen Rücktritt nachzudenken.

    Der Kreml habe allerdings selbst noch keinen Kompromisskandidaten gefunden, unter den sich "alle Gruppen des Imperiums Moskau unterordnen würden", sagt der Politologe Jewgenij Mintschenko. Deshalb brauche nicht nur Luschkow die Pause zum Nachdenken, so der Experte: "Sondern der Kreml auch".

    Von Benjamin Bidder, Moskau